Aber das Hirn ist hübsch.

12. Januar 2023

Vor kurzem war ich „in der Röhre“. Ein Schädel-MRT, damit sicher ausgeschlossen werden kann, dass ständige Kopfschmerzen, Wortfindungs- und Konzentrationsstörungen womöglich die Symptome wirklich fieser Sachen sind. Ich erspare Ihnen detaillierte Schilderungen von Beklemmung, Lautstärke und Kälte in der Röhre und springe direkt zu: alles gut! Ein altersgemäßes Hirn (was auch immer das heißt), keine Anzeichen für Verkalkungen, veränderte Blutgefäße oder gar Tumore. Ich bin sehr erleichtert!

Die Kopfschmerz/Konzentratiomsstörung/ Wortfindungschwierigkeiten-Ursachen-Forschung geht jetzt weiter. Da sich COVID auf die Synapsen auswirken kann, wird jetzt davon ausgegangen, dass genau das bei mir passiert ist. Es wird nicht ordentlich „weitergeleitet“. Dagegen ist leider kein Kraut gewachsen, es gibt keine Wunderpille. Training ist angesagt, „lernen sie Gedichte auswendig“ und „erzählen Sie viel“. Das hat ein bißchen was von „lernen sie, damit zu leben“. Tja, und wohl auch „nehmen sie immer ein zweites Paar Ohren mit, wenn es um wirklich wichtige Themen geht“. Vielleicht verschwindet der ganze Spuk auch irgendwann wieder oder geht nahtlos in die Altersdemenz über, niemand weiß irgendwas und ich bin sehr erstaunt, wie lässig ich das gerade wegstecke. (Momentan geht es mir aber auch richtig gut, fragen sie mich während des nächsten „Schubes“.)

Die Sache mit den Kopfschmerzen ist nicht ganz so hoffnungslos. Meine erste Migräneattacke hatte ich mit vier Jahren, mit der Pubertät kamen die Anfälle zyklisch. Meistens zu handhaben, manchmal grauenhaft. Seit meiner COVID-Erkrankung kommen die (heftigen) Anfälle häufiger. An migränefreien Tagen habe ich meistens nur „normale“ Kopfschmerzen, ohne Übelkeit, Licht- und/oder Lärmempfindlichkeit. Seit einem Monat schreibe ich jetzt ein Kopfschmerztagebuch. Bisher lassen sich keine Auslöser oder irgendwelche Regelmäßigkeiten ablesen, ich schreibe also weiter. Auch mit Medikamenten wird ein bißchen „ins Blaue geschossen“, derzeit nehme ich einen Betablocker. (Ich glaube, der nutzt gar nix.) Es gibt noch ein paar Sachen, die untersucht (womöglich leide ich unter schmerzfreien Migräneattacken, die für die neurologischen Ausfälle verantwortlich sind) und versucht werden können, ganz am Ende der Fahnenstange steht eine Antikörperbehandlung, deren Kosten die Krankenkasse aber nur sehr widerwillig und erst dann übernimmt, wenn wirklich alles andere versucht wurde.

Geduld ist nicht meine Kernkompetenz, ich lerne also derzeit etwas Neues. Außerdem versuche ich, mir für dieses Jahr „Inselchen“ zu bauen, auf die ich mich freuen kann. Damit dieser ganze Long COVID-Scheiß mich nicht runterzieht.

Inseln für dieses Jahr? Eine Gartyparty! Eine zwei, drei-Tagewanderung, ganz allein, viel Zeit im Wald mit dem Gatten und den Hunden.

Rauschende Party? Pffft.

1. Januar 2023

Der Gatte und ich hatten Silvesterpläne. Diese Pläne beinhalteten nicht, dass ich bereits am Morgen Kopfschmerzen hatte.

Ich warf eine Schmerztablette ein und das Kopfweh wurde dumpfer, verschwand aber nicht. Es wallte immer wieder hoch, auch ein Mittagsschlaf rettete nichts.

Nach einer wundervollen Abendrunde mit den Hunden unter phantastisch rot, pink und gold gefärbten Himmel, fühlte ich mich einigermaßen fit. Drei Stunden später wuchsen die mäßigen Kopfschmerzen zu einer Migräne wie ich sie schon lange nicht mehr hatte. Damit hatte sich das rauschende Silvesterfest für mich erledigt. Kurz nach neun Uhr ging ich ins Bett und schlief recht schnell ein. Bis Mitternacht. Das Geböller draußen schoss direkt in meinen Kopf. Die Lichtblitze brannten in meinen Augen, das Knallen stach in meine Schläfen. Die Migräne hatte den Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr in der Lage war, mich aufzusetzen, geschweige denn aufzustehen und das Rollo fest zu verschließen. Eine Stunde lang wurde in der Nachbarschaft eine Raketen- und Kracherbatterie nach der anderen gezündet und ich sag es mal so: wenn mir demnächst irgendeiner aus der Nachbarschaft vorjammert, man könne sich wegen der gestiegenen Preise bald kein Essen mehr leisten, muss ich sarkastisch werden.

Um ein Uhr nahm ich ein stärkeres Schmerzmittel ein und schlief bis zum morgen. Die Migräne wehte zum Glück nur noch nach, hinterließ das Gefühl einer frischen Narbe und verschwand bis zum Mittag.

Die Haustiere haben die Böllerei gut überstanden. Die Katzen verkrochen sich in der Halle, die Katzenklappe stand auf „nur reinkommen“, sie konnten also nicht raus. Lola ist schussfest, sie kann direkt an aktiven Schussapparaten im Herbst im Wingert vorbeilaufen, ohne in Panik zu verfallen. Lutz hat während der Abendrunde, als die ersten Böller krachten, gezuckt. Als er aber merkte, wie unbeeindruckt Lola ist, reagierte er nicht mehr auf weitere Böller. Glück gehabt.

Der Start ins neue Jahr war also erstmal ziemlich gemein, doch der Nachmittag heute war dann schön. Wir packten die Hunde ins Auto und fuhren ins Nachbarstädtchen. Dort gibt es nämlich nicht nur ein Wäldchen, sondern auch einen Hundestrand und diesen fand der kleine Hund besonders toll. Lutz panierte sich gründlich mit Sand ein, trank eine Menge Wasser aus dem Rhein (jetzt ist er ein echter Rheinhesse 😂) und trotzte sehr mutig der Gruppe von fünf großen, schwarzen Labradoren, die ihn sehr distanzlos bedrängten (und von ihren eher trägen Haltern nicht zurückgepfiffen wurden). Daheim kroch er mit letzter Kraft in sein Körbchen und schlief, bis grauenhafter Hunger ihn wieder weckte. Sein, Lolas und unser Hunger ist mittlerweile gestillt und weil sie gestern nicht zum Einsatz kam, öffnen wir uns unseren „das neue Jahr begrüßen“-Sekt eben jetzt.

Proschd Neijohr! Ihnen da draußen nur das Beste!

Januar

Wie könnte es anders sein: das Jahr beginnt mit einer neuen Farbe für die Küche. Diesmal wählte ich ein leuchtendes Blau. Der Gatte beantwortete mein besorgtes Nachfragen „Ist das ok für dich?“ mit seinem üblichen „Mach nur!“, denn es ist ihm tatsächlich völlig egal, welche Farbe die Küchenmöbel haben. Zwei Tage dauerte das „Blau machen“, das Ergebnis begeisterte mich nur so mittel, denn ich stellte fest, dass (kobalt)blau nicht meine Farbe ist und hätte ich einen Blick in meinen Kleider- oder Stoffschrank geworfen, hätte ich da schon früher drauf kommen können. Ich nähte neue Vorhänge, lackierte das alte Küchenbuffet zartrosa und beschloss, die blaue Küche toll zu finden. (auch wenn kein einziges Geschirrstück den richtigen Blauton hatte! Skandal!)

Außer Lackrollen zu schwingen, verbrachte ich sehr viel Zeit draußen. Ich entdeckte die ersten Knospen der Mandelblüte, begrub die Hoffnung auf Schnee und brach einen Vorsatz, indem ich mir bereits im Januar den ersten Tulpenstrauß auf den Tisch stellte. Sonst verweigere ich Tulpen bis in den März hinein. Zu meiner Verteidigung sei gesagt: der Strauß war ein Danke-Geschenk für eine Korrektur gelesene Bewerbung, die dann erfolgreich war.

Wir trafen uns regelmäßig mit unseren Freunden, nach wie vor draußen. Wir spazierten durch die Wingerte, saßen um Feuerschalen und -töpfe herum und tranken mehr Glühwein, als wir uns, wie jedes Jahr zum Jahreswechsel, vorgenommen hatten. Diese Treffen und Feiern im Freien führten dazu, dass ich endlich die ganz dicken Klamotten aus der hinteren Ecke des Kleiderschrankes hervorholte, in der sie seit Jahren liegen, weil die Winter einfach nicht mehr richtig kalt werden. Zwei Stunden im Freien sitzen verlangt aber nach dicker Wolle.

Insgesamt ein guter Jahresbeginn. Ich mag den Januar gern, weil ich Neuanfänge mag. (jaja, super albern, es ist ja nur ein Monat. Ist aber halt so.)

Februar

Zum ersten mal seit vielen Jahren lief ich wieder regelmäßig bei Demonstrationen mit. Die „Spaziergänger“ marschierten durch das Nachbarstädtchen und waren sehr empört, weil sie in die rechte Ecke gestellt“ wurden, sie wollen doch nur Meinungs- und Entscheidungsfreiheit. Ich hatte ein paar spannende Diskussionen, vor Ort aber vor allem im Netz zum Thema. Letztlich blieben diese aber fruchtlos und tatsächlich spare ich mir mittlerweile meine Kräfte und überlasse diese Kämpfe kompetenten und hartnäckigeren Menschen.

Der Gatte und ich fasteten eine Woche. Ich, weil ich das schon zweimal getan hatte und ich, siehe oben!, den Neuanfang der Nahrungsaufnahme toll finde und meine Ernährung danach für längere Zeit sehr viel mehr genieße und schätze. Der Gatte, weil er ausprobieren wollte, was mit ihm passiert, wenn er eine Woche lang nichts isst und wie leistungsfähig er bleibt. (alles super, er ging sogar joggen) Ich brach das Fasten zwei Tage vor ihm, weil ich auf dem Weg in ein Long COVID-Tal war, die gute Stimmung des Fastens verließ mich sehr schnell. Und weil ich während des Fastens in meiner Lieblingsküche sowieso nicht kochen konnte und das Blau immer noch nicht mein Blau war, lackierte ich sie rasch türkis. Und war damit dann endlich sehr, sehr glücklich. Das war der kürzeste Zeitraum einer Küchenfarbe. :)

Am Ende des Monats verschlossen wir zwei Tage Ohren und Augen vor entsetzlichen Nachrichten und feierten stattdessen den 23. Geburtstag unseres jüngsten Sohnes. (Ein Stück des Geburtstagskuchen stellten wir dem großen Sohn vor der Wohnungstür, hinter der er in Quarantäne lebte.) Zwei Tage später feierten wir unser Kreppelfest, diesmal sogar mit echten Gästen in der Küche. (in der hübschen, türkisfarbenen Küche!)

Danach … war wieder Platz für Fassungslosigkeit, Wut und ein bißchen Angst. Krieg in der Ukraine.

März

Im März begann die Gartensaison! Ich erntete den letzten Rosenkohl und jätete die ersten Hochbeete frei. Im Gewächshaus wuchsen die ersten Jungpflanzen und mein grüner Daumen begann zu kribbeln.

Eine Nacht schliefen wir im Wingert, als Test, wie Lola kühlere Temperaturen im Zelt aushalten kann. Alles in Hinblick auf den Sommerurlaub. Nach diesem Wochenende änderte sich aber erstmal sehr viel.

Wir boten Wohnraum für Flüchtlinge aus der Ukraine an und zwei Tage später bekam ich eine lange Liste, von der ich mir „unsere Familie“ aussuchen konnte. Mit tatkräftiger Unterstützung der Söhne verwandelten wir den großen Raum unter der Terrasse, der leer stand, weil er Küche und Wohnzimmer für den Jüngsten werden sollte, in eine gemütliche Unterkunft für eine 33jährige, ihren anderthalb jährigen Sohn und ihren 11 Jahre alten Neffen. Eine große Welle der Hilfsbereitschaft schwappt über mich, ich musste unzählige Angebote sogar absagen oder weiterleiten, noch heute bin ich sehr gerührt davon und möchte mich auch an dieser Stelle nochmals herzlich für Ihre Spenden und Unterstützung bedanken! Vielen, vielen Dank! <3

Das Zimmer wurde fertig und noch bevor wir fertig überlegt hatten, wie wir die Aufteilung der Küche regeln könnten und wie das wohl mit der Sprachbarriere laufen würde, fanden wir uns im Gemeindehaus wieder, wo wir unsere Gäste in Empfang nahmen und zu uns nach Hause führten.

Was auch immer wir geplant hatten, ich weiß es nicht mehr. Wir wuchsen zusammen. Unsere Gäste lernten, dass Flugzeuge und Sirenen hier keine Gefahr bedeuten, wir lernten mehr über deutsche Behörden und Ämter, als wir je wollten. Wir fuhren unsere Gäste von A nach B, meldeten an und um und wurden zum Dank üppigst bekocht und versorgt. Übersetzungsapps wurden wichtigstes Hilfmittel, gleichzeitig lernten die Gäste deutsch und ich ein paar Brocken ukrainisch. Ich trocknete einige Tränen, nicht nur fremde und verzieh dem Gatten sein „Hamster-Gen“, das ihn quasi nichts wegwerfen lässt. Alle Kindersicherungen, die schon längst abgebaut waren, lagen noch in der Werkstatt und wurden sehr schnell wieder eingebaut. Ein Anderthalbjähriger ist wuselig.

Ich suchte meine Deutsch-Unterricht-Utensilien wieder heraus, zuletzt brauchte ich die 2016 für „unsere Syrer“. (falls Sie fragen wollen: denen geht es gut)

Unser Umgang miteinander wurde entspannter, wir waren wie eine gut funktionierende WG, nur ohne den gammeligen Kühlschrank und das versiffte Bad.

April

Ein neuer Alltag war da. Zu abendlichen Hunderunde hatte ich einen Kinderwagen dabei, nachmittags ab drei Uhr gab es Deutschunterricht am Küchentisch. Meine Küche trat ich ab, denn Kochen und Backen waren Therapie und Ablenkung und ja, alles was hilft ist gut.

Das Wetter zeigte sich von seiner allerbesten Frühlingsseite und brachte hohe Temperaturen. Unsere Gäste hatten nur Winterkleidung mitgebracht, doch die nächste Welle der Hilfsbereitschaft sorgte auch hier für Verbesserung. (Danke, danke!!) Frühlingswetter zog mich in den Garten, rupfen und zupfen, meine Therapie, mein Rettungsanker bei Stress und Überforderung. Wut, Sorge und Hilflosigkeit in den Boden graben und mit dreckigen Fingernägeln und Rückenschmerzen wieder Kapazität für fremde Ängste und Tränen zu haben.

Anfang des Jahres hatte der Gatte sich und dem Jüngsten Zeltstellplätze auf Trekkingplätzen im Pfälzer Wald gebucht. Zusammen mit Lola wollte sie über Ostern dort wandern und ich sollte ein Wochenende ganz für mich allein daheim genießen dürfen. Ganz alleine war ich dann nicht, dafür durfte ich nach vielen Jahren mal wieder Ostereier im Garten verstecken. Und weil Freundinnen ebenfalls Gäste aufgenommen hatten, feierten wir gemeinsam ein deutsches Osterfest.

Eine Woche später feierten wir erneut, diesmal das ukrainische Osterfest. Im Stadtpark zusammen mit allen anderen Gästen, die zusammen mit unseren in einem Bus angekommen waren und hier in Nierstein bei ihren Gastfamilien lebten.

Mai

Auch der Mai zeigte sich wettertechnisch sehr freundlich! (natürlich regnete es besorgniserregend wenig und war viel zu warm, doch ganz egoistisch betrachtet war das halt super) Wir begannen unser „draußen leben“. Spielten, lasen, lebten auf der Terrasse, schleppten jeden Abend das Abendessen nach draußen und blieben sitzen, bis es in der Dämmerung doch zu kühl wurde.

Der Garten gedieh prächtig und war noch nie in solch gutem Zustand wie in diesem Mai, in dem er mir Zufluchtsort und Erholungsplatz gleichermaßen war. Dort konnte ich allein sein, ein Hörbuch in den Ohren und die Hände in der Erde. Im Rosa Gartenhüttchen legte ich mich zum Schlafen hin, wenn mich die Kräfte verließen und es im Haus kein ruhiges Plätzchen gab.

Mittlerweile hatte die Schule für den Elfjährigen begonnen und weil er Platz für sich brauchte, räumte ich mein Nähzimmer aus, der Jüngste zog mit seinem Kram dort hinein und stellte sein Zimmer, das kleinere neben dem großen Gästezimmer unter der Terrasse, zur Verfügung. Mit dem eigenen Zimmer kamen Schulfreunde zu Besuch und je mehr sich der Elfjährige einlebte und akklimatisierte, desto größer wurde das Heimweh seiner Tante.

Der Gatte und ich nahmen uns einen Abend frei und feierten unseren 27. Hochzeitstag. 27 Jahre, wow. Und ja, ich nehme die nächsten 27 Jahre gemeinsam mit ihm gerne in Angriff! (den langen, rührseligen Text darüber, wie dankbar ich bin, dass er meine spinnerte Spontaneität mitträgt usw, usf lasse ich aus, das habe ich ihm alles nach einer gemeinsamen Flasche Primitivo gesagt.)

Juni

Letztes Jahr hatte ich mir eine gemeinsame Trekkingtour mit allen Kindern gewünscht, zwei Nächte im Zelt, zusammen wandern, am Feuer sitzen, so ein Familiending halt. Doch dann war ich nicht richtig fit und ich glaube, es gab auch irgendwas mit dem Wetter. Die längere Tour zusammen ließen wir aus, stattdessen wanderten wir nur einen Tag durch den Wald und testeten bei dieser Gelegenheit gleich in Ruderbooten auf der Nahe, wie „seesicher“ Lola ist, denn der anstehende Wanderurlaub in Schweden würde uns auch in Booten über Seen schicken. Wie sich zeigte, war Lola von Booten kein bißchen begeistert. Sehr energisch stemmte sie sich mit allen vier Pfoten in den Boden und verweigerte wacklige Holzboote. Und fand es obendrein sehr empörend, als wir abwechselnd trotzdem hin- und herruderten, ebenfalls als Übung für Schweden, denn weder der Gatte noch ich hatten je ein Boot bewegt. Nachdem Lola nicht ins Boot zu bewegen war, sahen wir der Wanderung mit ihr nicht mehr ganz so optimistisch entgegen. Am Ende des Tages hatten die Kinder einen Plan ausgearbeitet, wie sie Lola übernehmen können, damit wir unseren Traumurlaub doch erleben dürften. Diese tollen Kinder!

Daheim hatte das Heimweh seinen Höhepunkt erreicht, gefüttert von whatsap-Nachrichten der Freundinnen, die Bilder aus Cafés und von Spielplätzen schickten, „hier ist alles gut, wir vermissen euch sehr“. Mitte des Monats fuhren wir unsere Gäste nach Mainz, wo sie in einen Bus Richtung Kiew stiegen. Nach 38 Stunden kamen sie gesund dort an. Um den Ereignissen vorzugreifen. es geht ihnen nicht mehr gut dort und mein Herz bricht, wenn ich es zulasse, zu viel daran zu denken. Wir können nicht helfen, werden aber sofort unsere Tür öffnen, wenn sie klingeln.

Nach der Abreise unserer Gäste war das Haus sehr groß und leer. Wundervoll leer und leise. Es dauerte ein paar Tage, bis ich es zuließ es wieder zu genießen, ganz ohne schlechtes Gewissen, dass wir wieder unter uns waren.

Dann wurde es herrlich langweilig. Wir feierten einen 50. Geburtstag. Ich glaube, das war der letzte im engsten Freundeskreis. Jetzt beginnen demnächst die 60. Geburtstage. Herrje, was sind wir alt geworden.

Es wurde heiß, wir schliefen auf der Terrasse und kehrten in unser kleines, normales, langweiliges Leben zurück.

Juli

Die erste Hälfte des Monats dörrte ich Obst und Gemüse für Trekkingmahlzeiten, buk Müsliriegel und packte meinen Rucksack mindesten zehnmal ein und wieder aus, immer auf der Suche nach überflüssigem Kram. Wenn man seinen Rucksack einen Monat lang jeden Tag tragen will, zählt jedes Gramm. Als alles passte, jede Wetterlage berücksichtigt war, Kinder, Freunde, Tiere, Haus und Garten verabschiedeten waren, brachten uns zwei Flugzeuge nach Hemavan. Dort startete für uns der Kungsleden, Schwedens bekanntester Fernwanderweg. Für knapp 500 Kilometer (wir planten ein paar Schleifen) hatten wir uns vier Wochen Zeit genommen, unser bisher längster Urlaub!

Uns erwartete eine spektakuläre Landschaft, mehr Schnee als den gesamten letzten Winter bei uns, Regen, Sturm, Matsch, Morast, Steine, Felsen, morsche Holzplanken, Mücken und eine Weite, die mich fast zu Tränen rührte. Kennen Sie den Ausdruck „das Herz geht auf“? So war das. Stehen bleiben, rundum schauen und einfach nur Gegend sehen. Keine Häuser, keine Straßen, keine Zivilisation. Wenige Menschen, doch die, die wir trafen, empfanden wir als Bereicherung. Wir bekamen Trailnamen, erzählten uns unsere Erlebnisse und diskutierten über DAS THEMA der Fernwanderer: gear. Wieviel wiegt der Kram, was kann er, was kostet das.

Die Etappen, die uns im Vorfeld teilweise lächerlich kurz erschienen („Wie? Nur elf Kilometer? Das ist eine längere Hunderunde, da können wir garantiert noch was dranhängen!), erwiesen sich als sehr, sehr anstrengend. Jeder Schritt musste wohlüberlegt gesetzt werden, um nicht im Morast zu versinken oder von Steinen oder Holzplanken zu rutschen. Den Blick schweifen zu lassen ging nur, wenn wir ganz bewusst stehen blieben und uns Zeit dafür nahmen.

Wir fanden wunderbare Zeltplätze und ich schlief tief und fest, erwachte erholt. Meine Muskeln wurden stärker und der Long COVID-Schub, der mich kurz vor der Abreise runtergerissen hatte, verabschiedete sich. Ein toller Urlaub …

August

… bis ich diesen Lachsbagel aß. Mit großem Appetit und sehr, sehr hungrig. Danach noch ein Zimtbrötchen, denn die folgende Etappe sollte lang und anstrengend sein. Eine Stunde nach der Mahlzeit ging es mir nicht mehr gut und um die folgenden unschönen Ereignisse nicht allzu detailliert zu beschreiben: es wurde schlimm. Wir schafften den Weg in strömenden Regen bis zu einer Hütte, in der wir uns zum Schlafen legten, zusammen mit anderen Wanderern. Diese Hütten sind nur für den Notfall zum Übernachten freigegen, doch das heftige Gewitter in der Nacht rechtfertigte die Übernachtung. Ich fieberte hoch, doch Ibuprofen in höherer Dosis ließ mich am nächsten Morgen beinahe beschwingt in die nächste Ortschaft laufen. Dort brach ich aber zusammen und blieb drei Tage im Bett. Fiebernd und völlig fertig. Als sich Besserung abzeichnete, wanderten wir wieder los. Zehn Kilometer und eine geruderte Seelänge kamen wir weiter, dann ging nichts mehr. Zwei Tage lag ich erneut heftig fiebernd und mit blutigem Durchfall im Zelt. Kein Zustand, befand der Gatte. Gerettet werden wollte ich aber nicht, das ließ mein doofer Stolz nicht zu. Wir schlichen sehr, sehr langsam den Weg zur Ortschaft zurück und als ich vor Anstrengung in die Blaubeeren kotzte und beinahe umkippte, schleppte der Gatte beide Rucksäcke. Wir kamen an, fanden ein Zimmer. Ich duschte und schlief. Zwei Tage dauerte unser abenteuerlicher und tatsächlich auch toller Heimweg in Bussen, der tollen Inlandsbanan und drei Flugzeugen. Daheim kam ich recht schnell und zehn Kilo leichter wieder auf die Beine. Eine heftige Lebensmittelvergiftung hatte mich außer Gefecht gesetzt und hat mir Schweden ein bißchen verleidet. Auch wenn ich weiß, dass weder der Kungsleden noch das Wetter etwas für den ganzen Mist können … den Weg fertig zu laufen kann ich mir derzeit überhaupt nicht vorstellen. Wenn ich an Schweden denke, sehe ich mich im Zelt liegend, nicht wissend, wie ich wieder aus dem Wald kommen soll.

Als ich wieder gesund war, öffnete ich dreimal in der Woche die Türen des Gemeindehauses für Flüchtlinge. Eine Begegnunsstätte sollte geschaffen werden, mit juristischer Beratung im Haus, falls nötig. Ein lockeres Treffen, mit Kaffee und Keksen. Doch der Sommer war zu heiß, das Interesse nicht vorhanden, trotz eifrig gerührter Werbetrommel. Mein Minijöbchen endete …

September

… im September schon wieder.

Ganz langweiliger Alltag kehrte ein. Äpfel und Birnen wurden reif und verlangten Verarbeitung, der gesamte Garten wollte endlich wieder meine Aufmerksamkeit. Die Tochter reiste zu ihrem Geburtstag an und blieb ein paar Tage. Nicht nur um zu feiern, sondern auch um bei der beginnenden großen Umräumerei und Renoviererei zu helfen. Ich bekam mein Nähzimmer zurück, nachdem im kleineren Raum unter der Terrasse der Boden abgeschliffen und neu versiegelt worden war. Der Jüngste zog wieder runter und ich sortierte sehr glücklich Garne und Stoffe zurück in Regale und Schränke.

Das bereits in Schweden muckende Knie wurde gleich zwei Orthopäden gezeigt. Der erste erklärte mir, ich sei nun eben nicht mehr die Jüngste und müsse mich mit zunehmender Bewegungslosigkeit abfinden (WTF?!), der zweite fand eine Entzündung und ein den Umständen entsprechendes (bereits sechsmal operiertes) ganz fittes Knie. Er empfahl moderate, sich stetig steigernde Bewegung und entließ mich mit den beruhigenden Worten, dass ein künstliches Gelenk derzeit nicht angezeigt sei.

Wir feierten ein kleines Federkuchenfest mit Freunden und ich bewegte moderat mein Knie, begeistert darüber, dass die Cortisontherapie anschlug. Es sieht so aus, als müsste ich den großen Trekkingrucksack nicht an den Nagel hängen.

Oktober

Der Winter wird kalt, weil wir müssen alle Energie sparen. Außerdem wird das Gas teuer. Ein willkommener Anlass für mich, um jede Menge Restequilts nähen. Im Nähzimmer stapelten sich bunte Haufen, die Nähmaschine lief heiß und trotzdem schrumpften die Stoffberge im Nähzimmer kaum merklich.

Mein fast voll einsatzfähiges Knie wurde endlich wieder bei Hunderunden gefordert. Wir wagten eine längere Wanderung und außerdem legte ich etliche Kilometer im blaugelben Möbelhaus zurück. Der Jüngste suchte sich eine Küche und ein Sofa aus, das Projekt „eine Wohnung in der Grünen Villa“ wird immer konkreter. Wir verhandelten mit dem Fliesenleger und dem Installateur für unser neues Bad und den neuen Flur, machten Aufträge fest und legten den Start fest: 2. November!

Den letzten Zwetschgenkuchen der Saison teilten wir mit den Freunden und planten dabei sehr spontan ein gemeinsames Wochenende in Hamburg. Dorthin brachen wir nach dem Geburtstag des Gatten auf. Ein paar wunderbare Tage waren das! Wir klapperten eine Menge touristische Attraktionen ab, der Gatte und der Schreinerfreund kletterten in die Takelage der Rickmer Rickmers und den Rest der Zeit speisten wir hervorragend.

November

Wie vereinbart startete am 2. November der Abriss unseres Bades und des Flurs. Es gab sehr viel Krach und Dreck und das blieb mit kurzen Pausen den ganzen Monat so. Vier neue Fenster wurden eingebaut, gewollte und ungewollte Löcher für neue Leitungen wurden in Boden und Wände geklopft, wunderschöne Wand- und Bodenfliesen wurden verlegt, wir bekamen ein neues Waschbecken und eine neue Toilette, leider nicht den von uns gewählten Heizkörper und eine schöne Dusche, die wir derzeit nicht nutzen können, weil die Duschwandfirma nicht in die Pötte kommt.

Einen schrecklichen Abend lang war der Wasserabfluss von Spüle, Waschbecken und Toilette verstopft, der Jüngste bekam, beim Versuch das zu richten, die schlimmste Dusche seines Lebens. Wir lernten am folgenden Tag vom Profi, was ein Urinsteingerüst ist und dass ein solches durch Bohrarbeiten und deren Erschütterungen zusammenbrechen und einfach alles verstopfen kann. Jetzt läuft alles wieder ab!

Dreck und Krach waren anstrengend und belastend, wir machten aber das Beste daraus. Feierten den Geburtstag des Großen, übten die für meinen Geburtstag geplante Feier mit den Freunden (die Cocktails müssen ja schmecken) und weil das Chaos nicht groß genug war, ging die Renoviererei in der künftigen Küche des Jüngsten weiter. Neue Fliesen, ein abgeschliffener Boden, der versiegelt wird, Wände streichen, Abwasser- und Wasserleitungen und Strom legen. Ziemlich viel, sehr, sehr anstrengend, dieser November.

Ich zauberte Weihnachten in die Schaufenster des Weltladens und tat dann das, was ich schon sehr lange tun wollte. ich schrieb einen langen Blogartikel über Long COVID und was es mit mir anstellt. Das hatte ein bißchen was von „auf der Straße nackig machen“, doch die allermeisten Reaktionen verletzten oder verspotteten nicht, ich fühlte mich verstanden, getröstet und getragen.

Dezember

Endlich Dezember! Der Dezember ist der wichtigste Monat des Jahres! Nicht wegen Weihnachten und Besinnlichkeit und Plätzchen und nur ein bißchen wegen glitzerigem Weihnachts-Schnickeldi. Im Dezember habe ich Geburtstags und ich mag meinen Geburtstag sehr. Dieses Jahr feierten wir ein rauschendes Fest, die Fiesta Méxicana. Tolles Essen, tolle Getränke und als ich am nächsten Morgen äußerst verkatert in die Küche kroch, stand der Große bereits Gläser spülend darin. Sehr, sehr großartig!

Mit den Freundinnen verbrachte ich einen tollen Tag in Mainz. Das hat mittlerweile auch schon Tradition! Wir frühstücken irgendwo und bummeln so lange durch sämtliche Schnickeldilädchen, bis wir Abendessenhunger haben. Den stillen wir in einem Restaurant, bevor wir satt vom Stadttrubel wieder heimfahren.

Mitte Dezember trudelte nicht nur der Tochter zum Weihnachtsbesuch ein, unser hauseigener Zoo vergrößerte sich! Lutz zog ein. Lutz ist mittlerweile 18 Wochen jung, hat ein flauschiges, schwarzes Fell, zu dem er weiße Socken und ein weißes Lätzchen trägt. Er ist ein hinreißender Welpe, wir sind sehr, sehr verliebt. Die Größe seiner Pfoten lässt uns etwas unsicher zurück. Er wird entweder riesig oder einfach nur sehr breit. Vermutlich Letzteres, seine Mutter ist eine Bracke, der Vater allerdings unbekannt. Er hat an den Hinterpfoten überzählige Zehen, eine weiße Schwanzspitze und bringt Schwung nicht nur in unser Leben. Lola wird genauso gefordert. Sie füllt ihre Tantenrolle perfekt aus, spielt und tobt mit dem Kleinen und rügt ihn, wenn er zu wild ist. Noch müssen wir nachts raus, damit er rechtzeitig zum Pinkeln in den Garten kommt, aber das ist hoffentlich bald vorbei. Unfassbar, wie sehr Schlafmangel schlaucht, noch unfassbarer, dass wir das jahrelang mit den Kindelein ausgehalten haben. (ok, wir waren drei, vier Jahre jünger)

Um Lutz dreht sich jetzt quasi alles, trotzdem hatten wir ein feines, kleines Weihnachtsfest. Eigentlich drei Feste. Das erste war vor Heilig Abend zusammen mit den Neffen, die endlich mal wieder zu Besuch da waren, das zweite an Heilig Abend zusammen mit Oma Eis, ihrem Lebensgefährten und der allerbesten Freundin und das dritte am ersten Feiertag, nur die Kindeleien, die allerbeste Freundin und wir (und ein paar Cocktails, Musik und Tanz). Wir haben dieses Jahr „das Fest ohne Geschenke“ ausprobiert. Das war in Ordnung, aber auch komisch. Ich packe eben genauso gerne Geschenke aus, wie ich welche mache. Mal sehen, wie wir das nächstes Jahr handhaben.

Für Silvester gibt es keine Pläne. (wir haben ja ein Baby im Haus!)

Wir werden uns den Kalender für nächstes Jahr vornehmen und für jeden Monat eine Wanderung heraussuchen. Da mit Hundekind eine größere Wanderung über Wochen nicht möglich sein wird, wollen wir Mehrtagestouren in den hiesigen Mittelgebirgen machen. (Hauptsache Wald, im Zelt schlafen und draußen leben.) Vielleicht schaffen wir es sogar, bis Mitternacht aufzubleiben und anzustoßen. Notfalls schlafen wir früh und wünschen wir uns gegen drei ein gutes, neues Jahr, wenn uns der kleine Hund zur Pinkelpause weckt.

Ob und wie es hier im neuen Jahr weitergeht, wer weiß das schon.

Rutschen Sie gut ins neue Jahr und bleiben Sie mir gewogen.

Immer die Ihre.

Genug von diesem Jahr

29. Dezember 2022

Der Tag begann gut. Früh, aber einigermaßen ausgeschlafen. Der Gatte blieb im Bett, ich versorgte zwei verhungernde Hunde mit Frühstück, mich selbst mit einem Getreidekaffee, räumte die Spülmaschine aus, legte Wäsche zusammen und als es endlich hell wurde, schnappte ich die Hundeviecher und zog mit ihnen zur Hunderunde los.

Mit beiden Hunden zu laufen ist … herausfordernd. Lutz hat noch nicht gelernt, wie er an der Leine laufen soll. An der Leine laufen bedeutet nämlich neben oder knapp hinter mir, ohne Zug und ohne Rumgeschnuffele/stehen bleiben/von links nach rechts oder umgekehrt eiern. Einfach nur laufen. Für den ganzen Spaß, den so eine Hunderunde bietet, bleibt im Wingert genug Spaß, dann wenn die Leine gelöst ist.

Lutz kreiselte also an der Leine um mich herum, evtl, bemüht mich zu Fall zu bringen, damit die Leckerlis in meiner Jackentasche leichter zu erreichen wären. Lola fand dieses Verhalten zuerst unangemessen. Sie kann sehr missbilligend schauen, wenn andere Hunde etwas tun, was ihr nicht erlaubt ist. Leider orientiert sie sich oft an anderen Hunden und so begann auch sie an der Leine Scheißelkram zu machen.

Der Weg in den Wingert ist zum Glück nicht weit, aber ich war vom Hundedirigieren, Leinen entknoten und abwechselnd schimpfend und lobend ziemlich erschöpft. Auf dem Feldweg zwischen den Wingerten wurde es leicht. Beide Hunde liefen frei, beide Hunde hörten sofort auf den Rückruf, blieben bei einer Hundebegegnung auf Kommande neben mir und tobten ansonsten den Weg hoch und runter, Lutz wahlweise in Lolas Ohren oder Lefzen verbissen.

Das letzte Stück Heimweg an der Straße entlang war mit müden Hunden entspannter als der Hinweg.

Daheim klopften Kopfschmerzen in der rechten Schläfe, deshalb legte ich mich nach dem Frühstück wieder hin. Zwei Stunden Schlaf später war ich wieder fit und die Schmerzen verschwunden. Der Gatte war in der Zwischenzeit einkaufen und wir konnten entspannt in den Nachmittag starten. Die Oppenheimer Freundin kam zu Kaffee und Waffeln. Und natürlich, um das neue Familienmitglied zu begrüßen.

Der Jüngste verabschiedete sich zu einer Radtour, wir schwätzten noch ein bißchen, bevor auch die Freundin wieder heimradelte.

Die gemeinsame Hunderunde mit dem Gatten endete dann ziemlich rasch, weil der Jüngste per threema mitteilte, er habe einen Unfall gehabt und möchte bitte abgeholt werden. Wir joggten heim, der Gatte fuhr los und sammelte den Jüngsten ein. Eine Autofahrerin hatte ihn übersehen, er war über die Motorhaube geflogen. Zum Glück ist ihm nichts passiert! Sein Knöchel schmerzt etwas und vermutlich hat er morgen ein paar blaue Flecken. Erschrocken ist er, genauso wie die Autofahrerin. Und wir.

Für meinen Geschmack hat dieses Jahr jetzt wirklich genug an Aufregung, Sorgen und Angst zu bieten gehabt, die letzten beiden Tagen dürfen jetzt maximal ereignislos und langweilig werden.

Ausgeweihnachtet.

28. Dezember 2022

Aber so was von! Eigentlich bin ich Team „bis der Weihnachtsstern zu Tode gepflegt ist, bleibt das Geglitzer hängen“, dieses Jahr nicht. Zwei Weihnachtssterne gedeihen prächtig auf der Küchenfensterbank, dafür habe ich angefangen, Schnickeldi wegzuräumen. Zu viel, zu unruhig. Ich fegte, saugte und wischte eine Stunde durch Küche und Wohnzimmer. Die beiden Hunde streuen munterer Fell durch die Gegend, außerdem Schreddern der Kleine mittelgroße Stämme aus dem Holzkorb vor dem Ofen in Sägespäne. Die Sofaquiltdecken landeten in der Waschmaschine, das Sofa selbst bekam ein bißchen reinigende Zuwendung. Am Liebsten würde ich es hoch und weit treten, das gar nicht mal so günstige Sofa aus dem blaugelben Möbelhaus, dass sich als Fehlkauf entpuppte. Der Bezug pellt und ist nach knapp zwei Jahren abgewetzt, die Polster durchgesessen. Entweder hängen wir exzessiv auf dem Teil herum oder die Qualität ist wirklich unterirdisch. Ein neues Sofa werden wir jetzt aber garantiert nicht anschaffen, erst wenn das Hundekind keine durchgeknallten fünf Minuten mehr hat, während derer es wie ein Flummi über Möbel dotzt und seine Milchzähnchen an Möbelfüßen wetzt. Alles verboten, aber alleine bleiben soll er ja auch lernen und er weiß diese Gelegenheiten zu nutzen.

Wie auch immer, das Sofa bleibt und wird mit Quiltdecken und vielen Kissen hübsch gemacht. Letztere sind übrigens ein großes Streitthema zwischen dem Gatten und mir. Ich drapiere sie liebevoll und erfreue mich an den Farben der harmonisch miteinander korrespondierenden Stoffe, er wirft die Kissen lieblos beiseite, bevor er sich setzt. Angeblich habe er keinen Platz auf dem Sofa, wegen der Kissenberge. (Kissen gibt es nie genug. Niemals. Banause.)

Nach der Wohnzimmerräumerei und -putzerei war noch Kraft für die Küche übrig. Ich sortierte sechzig Jahre alte Tupperdosen aus, weil sie völlig zerkratzt und verfärbt sind. Ich las irgendwo, das sei ungesund, Keine Ahnung, ob das stimmt, ich fand die Dosen mittlerweile wirklich unappetitlich und habe sie alle durch Glasgefäße ersetzt. Der ehemalige „Tupperschrank“ ist jetzt fast keiner mehr und das ist wirklich in Ordnung. Da fällt mir ein: gibt es eigentlich noch Tupperpartys? Wir hatten sehr viel Spaß auf solchen Partys und haben sehr viel Geld ausgegeben …

Nach dem Vorratsgefäßeschrank (das geht nicht so flüssig über die Lippen, ich muss mir eine andere Bezeichnung ausdenken), räumte ich die Back- und Trockenvorräte-Schubladen aus, fand zwei Mehlmottenbrutstätten (Mistviecher, mistige), wischte aus und räumte neu ein. Morgen ist der Kühlschrank dran und danach ist alles wieder schick.

Ein Powernap spendete genug Batterieladung, um mich mit beiden Hunden allein zur Hunderunde zu wagen. Lutz ist ein sehr, sehr ängstlicher Welpe und kein bißchen scharf darauf, das Haus zu verlassen. Wir (Lola und ich) verbrachten also zehn Minuten vor dem geöffneten Hallentor auf der Straße, bis ein fiepender Lutz endlich alle vier Pfoten auf dem Gehweg hatte. Unterwegs ging es dann ganz gut, außer wenn Autos an uns vorbeifuhren oder Menschen/Hunde/Katzen unseren Weg kreuzten. Dann stemmte Lutz alle vier Pfoten in den Boden und erstarrte, bis die Gefahr vorbei war. Ein gutes Stück Arbeit liegt da noch vor uns.

Nach dieser eigentlich sehr kurzen Runde waren wir alle drei erschöpft und bereit für einen gemütlichen Abend auf dem Sofa. Auf, zwischen und unter jede Menge bunten Kissen.